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Sel. Kinga (14. Juli)

Heiligenvita aus:
Alban Stolz, Legende. oder: Der christliche Sternenhimmel, Freiburg i. Br. 1867.


14. Juli.

Die selige Kinga. † 1292.
(Eheliche Keuschheit.)

Im vorigen Monate ist das Leben des h. Ladislaus, Königs von Ungarn, erzählt worden. Mehr als zweihundert Jahre später entsproß aus seiner Nachkommenschaft die selige Kinga oder, wie ihr Name sonst noch geschrieben wird, Zingua. Ihr Leben gibt mir Anlaß von Etwas zu sprechen, dessen Natur nicht wohl gestattet deutlich auf der Kanzel davon zu reden, während doch gerade aus der Unwissenheit hierin zahllos viele und schwere Versündigungen hervorgehen, und gewöhnlich ungebeichtet und unbereut in die andere Welt vor den Richterstuhl des unendlich Heiligen hinübergenommen werden.

Kinga zeigte schon als Kind eine ganz außerordentliche Frömmigkeit; zur Jungfrau herangewachsen, zeichnete sie sich wie an Tugend und Verstand so auch durch körperliche Schönheit aus. Damals war Boleslaus Herzog von Krakau und Pommern, ein noch junger Mann, reich an Allem, was in der Welt geschätzt wird, an Reichthum, Macht, Ansehen, Schönheit, Geist und Beredsamkeit, zugleich aber auch, was unendlich mehr werth ist, fromm und tugendhaft. Dieser hielt bei den Eltern der seligen Kinga um ihre Hand an und bekam ihre Einwilligung; Kinga aber, die gern in jungfräulichem Stande Gott gedient hätte, sträubte sich lange, dem Beschluß ihrer Eltern und Verwandten sich zu fügen. Da aber all’ ihr Bitten, Weinen und Sträuben vergeblich war und die Eltern auf ihrem Willen bestanden, so gehorchte endlich Kinga in der heimlichen Hoffnung, dennoch ihre Jungfrauschaft zu bewahren. Sie wurde nun nach Krakau geführt, wo in dem fürstlichen Palast mit großer Pracht die Hochzeit gefeiert wurde. Während aber in Gastmahlen, Musik und Tanz einige Tage lang die Gäste sich erfreuten, war Kinga blind und taub für alle diese Lustbarkeiten und flehte unaufhörlich in ihrem Innern den Herrn an, daß er ihrem Bräutigam auch den Geist und die Liebe der Enthaltsamkeit verleihen möge, damit sie auch im Ehestand ein jungfräuliches Leben mit einander führen.

Als zuletzt Kinga mit Boleslaus allein gelassen wurde, theilte sie ihm mit, wie sie bisher mit größter Sorgfalt ihre Jungfrauschaft bewahrt habe und nun von ihm erwarte, daß er diesen Schatz ihr nicht rauben, sondern sichern werde. Sie sei schon vorher die Braut Christi geworden und habe ihm ewige Jungfrauschaft gelobt; sie habe nur dem Befehl der Eltern sich gefügt, daß sie jetzt auch seine Braut geworden. Sie bitte ihn nun, ein Genosse ihrer Jungfräulichkeit und ein Bruder Christi zu sein, nicht aber sinnlicher Begierde zu einer Braut Christi sich hinzugeben und sich dadurch seinen Zorn zuzuziehen.

Boleslaus hatte zwar Kinga zur Gemahlin gewählt um Nachkommen von ihr zu bekommen; das Gebet und das Zureden derselben wirkte aber so sehr auf ihn, daß er ihr Enthaltsamkeit gelobte auf ein Jahr lang. Er konnte schon deßhalb einem Zugeständniß nicht ausweichen, weil er schon vorher seiner Braut unaufgefordert versprochen hatte, Alles zu geben, was sie nur wünsche. Da sie nun, statt zeitliche Geschenke zu begehren, wie er erwartet hatte, ein geistliches Gut verlangte, wollte er eben doch auch nicht sein Wort brechen.

Als aber dieses Jahr, wo beide Eheleute wie Geschwister mit einander lebten, zu Ende ging, so bat Kinga ihren Gemahl inständig, er möge ihr ein zweites Jahr der Enthaltung gewähren zur Ehre der unbefleckten Jungfrau Maria. Boleslaus dachte: habe ich vorher ein Jahr geschenkt aus Liebe zu einer irdischen Braut, die mich um ihretwillen darum gebeten, so wäre es nicht recht, wenn ich dasselbe verweigerte, da ich um der Mutter Gottes willen gebeten werde. Deßhalb willigte er ein, auch das zweite Jahr enthaltsam zu sein. Kinga war darüber höchst erfreut und dankte unaufhörlich Gott in Thränen, Gebet, Almosen und Fasten, und flehte das ganze Jahr hindurch Gott an, daß ihr bis in den Tod die Jungfräulichkeit bewahrt bleibe. Zugleich forderte sie auch fromme Personen dringend auf, fleißig für sie zu beten um Durchführung ewiger Keuschheit. Während Kinga aber das durch alle mögliche Mittel zu vermeiden suchte, was sinnliche Menschen für eine große Lust ansehen, so suchte und that sie das, was für sinnliche Menschen ein großer Abscheu ist, sie gab sich damit ab, die eckelhaftesten Krankheiten, Aussätzige nämlich, welche die ärmste Dienstmagd nur mit Widerwillen bedienen mag, eigenhändig liebreich zu verpflegen. Statt ihre Zeit in müßigen Gesellschaften und Vergnügen, wie es bei vornehmen Leuten üblich ist, zuzubringen, ging sie in Spitäler und arme Hütten, wo Kranke lagen, und that ihnen alle Dienste wie eine Mutter, so daß sie oft ganz müde nach Hause kam, während Andere schon lange behaglicher Ruhe sich überlassen hatten.

Da Kinga ihres Standes wegen und aus Rücksicht auf ihren Gemahl und Schwiegermutter vornehmere Kleider tragen mußte, so legte sie unter denselben ein stachliges Bußkleid von Pferdhaaren an. Sie fastete auch sehr viel bei Wasser und Brod und sendete ihren Antheil von der fürstlichen Tafel in das Krankenspital.

Nun lief bald das zweite Jahr zu Ende und Boleslaus hatte nicht im Sinne auf sein eheliches Recht ferner zu verzichten. Kinga aber warf sich vor ihm nieder und flehte mit Thränen und Bitten, er möge zur Ehre Johannes des Täufers ein drittes Jahr sich enthalten; er werde durch eine solche dreijährige Enthaltsamkeit sich als wahrhaft katholischen Fürsten und wahren Diener der allerheiligsten Dreifaltigkeit erweisen. Ueber diese neue unverhoffte Zumuthung wurde nun Boleslaus höchst aufgebracht, so mild und gelassen er sonst war; er sah sich gleichsam für verspottet an; voll Zorn ging er fort ohne eine Antwort zu geben. Nicht einmal unter einem Dache mit Kinga wollte er mehr bleiben, sondern verreiste alsbald und hielt sich in einem entferntern Theil des Herzogthums auf. Nach Ablauf eines halben Jahres legte sich allmählig seine Erbitterung und er versuchte nun ein anderes Mittel, um seine Absicht zu erreichen. Er ließ seiner Gemahlin durch verschiedene Personen sagen, wenn sie ihm ferner die eheliche Pflicht verweigere, so werde er sich mit andern Frauen abgeben; diese Sünde des Ehebruchs habe aber dann Kinga zu verantworten, indem sie fortwährend durch allerlei Vorwände sich ihm entziehe.

Kinga ließ sich durch solche Drohungen nicht irre machen, sie antwortete denen, welche ihr Solches hinterbracht hatten: „Ich kenne die Rechtschaffenheit des Herzogs, meines Gemahls, und bin überzeugt, daß er viel zu edel ist, als daß er Leib und Seele und Ehre durch Ehebruch schänden wird.“

Boleslaus machte sich nun an den Beichtvater seiner Gemahlin und bat denselben inständig, seine Gemahlin dahin zu bringen, daß sie ihrer ehelichen Verpflichtung nachkomme. Der Beichtvater machte auch wirklich der seligen Kinga ernstliche Vorstellungen, sie habe nun einmal den Herzog zur Ehe genommen, er habe daher auch eheliche Rechte anzusprechen; sie solle nicht seine und des Landes Hoffnung, Nachkommen von ihr zu bekommen, vereiteln. Manche heilige Frauen hätten schon Söhne geboren, welche auf Erden Großes gewirkt und jetzt Zierden des Himmels seien. Aus ihrer eigenen Verwandtschaft seien zwei Frauen heilig gesprochen worden, obschon sie Söhne und Töchter gehabt haben, nämlich die h. Hedwig und die h. Elisabeth. Sie habe freien Willen gehabt zu heirathen oder nicht zu heirathen; da sie aber die Ehe angenommen habe, so müsse sie nun auch ihr Versprechen halten, nämlich dem Willen des Mannes botmäßig zu sein.

Kinga wurde durch diesen Zuspruch sehr beunruhigt; einerseits fürchtete sie die lange und mühsam gehütete Lilie der Jungfrauschaft zu verlieren und hundertfältige Frucht gegen dreißigfältige zu vertauschen, anderseits gegen das Sakrament der Ehe zu sündigen, indem sie das feierlich gegebene Versprechen nicht halte. Diese Zweifel und Erwägungen, was das Rechte sei und was sie thun solle, lagen eine Weile wie Nebel über ihrem Geist. Bald aber brach die Sonne höherer Erleuchtung durch. Sie widerlegte nun scharfsinnig alle Gründe, welche ihr Beichtvater vorgebracht hatte. Sie könne sich nicht mit den heiligen Frauen Hedwig und Elisabeth vergleichen, jene seien stark an Geist und Charakter gewesen, sie aber sei schwach und habe zu fürchten, daß, wenn sie der sinnlichen Lust auch nur einmal nachgebe, überhaupt die Sinnlichkeit die Oberhand bekomme und schwer oder niemals mehr vom Geist sich beherrschen lasse. Ferner sei es ungewiß, ob aus der ehelichen Beiwohnung Söhne erzeugt würden, und deßhalb allein wolle sie die Glorie der Jungfrauschaft nicht mit unsauberer Wollust vertauschen. Sodann hielt sie dem Priester vor, es gezieme sich für sein heiliges Amt, ihren Gemahl zu bereden, daß er ihr die gottgeweihte Jungfrauschaft lasse, nicht aber gezieme es sich, daß er ihr zumuthe, sie aufzugeben.

Als Boleslaus erfuhr, daß nun auch dieser Versuch vergeblich gewesen sei, wurde er sehr erbittert und mit ihm der Adel und das Volk; denn man fürchtete, wenn Boleslaus ohne Nachkommenschaft sterbe, so würden verschiedene Fürsten Ansprüche an das Land machen, Bürgerkrieg und all’ sein Unheil daraus entstehen. Kinga wurde von Jedermann entweder getadelt oder verachtet, oder ihr zugeredet, sie solle ihren Sinn ändern. In dieser Bedrängniß hatte sie keine andere Zuflucht als unaufhörliches inbrünstiges Gebet.

Bevor ich in der Erzählung fortfahre, wollen wir zuerst über das bisherige Benehmen der seligen Kinga eine kleine Betrachtung anstellen. Wir sehen in Kinga eine solche Liebe zur jungfräulichen Unversehrtheit, daß man ihr selbst Unrecht gegen ihren Ehegemahl vorwerfen könnte, wenn nicht eine übernatürliche Berufung hier angenommen werden müßte. Aber selbst, wenn sie geirrt hätte, wie ehrenvoll und edel ist der Beweggrund ihres Fehlers – nämlich eine engelreine Seele! Hingegen wie ist bei zahllosen Eheleuten gerade der Ehestand gleichsam eine Fallgrube, wodurch sie schwer sich versündigen in der Einbildung, den Eheleuten sei jede Wollust erlaubt. Im Ehestand ist nichts erlaubt, als nur, was nothwendig ist zu dem Zweck, wozu Gott den Ehestand eingesetzt hat, nämlich um Nachkommenschaft zu bekommen. Wenn aber Eheleute absichtlich dieses zu verhüten suchen und sich doch auch nicht von einander enthalten, so ist dieses eine sehr schwere Sünde, wofür Gott schon im alten Testament einen Mann, Namens Onan, zum Zeichen seines Abscheues mit dem Tod bestraft hat. Aber auch sonst schwere Sünden gegen Schamhaftigkeit, gegen Mäßigung und gegen die Natur kommen im Ehestand vor, welche weder hier noch in Predigten schicklicher Weise genauer bezeichnet werden können. Wer in seinem eigenen Ehestand über Manches Zweifel hat, ob es nicht Sünde ist, frage einen frommen und zugleich gelehrten und erleuchteten Beichtvater. – Kehren wir nun zurück zu der jungfräulichen Kinga.

Sie hatte sich in ihrer Angelegenheit ganz besonders den h. Johannes den Täufer zum Patron gewählt, dessen Schutz und Hülfe sie unaufhörlich anflehte. Den Tag vor seinem Feste hielt sie nach ihrer Gewohnheit ein Fasten mit Wasser und Brod, und brachte die ganze Nacht im Gebet zu und rief seinen Beistand an, daß ihre Jungfrauschaft unversehrt erhalten bleibe. Da kam es ihr vor, als stehe der h. Johnannes in großem Glanze vor ihr und redete sie an. Die Erscheinung sprach, ihr Gebet sei erhört, in drei Tagen werde ihr beim Herausgehen aus der Kirche Boleslaus begegnen, sie zuerst freundlich anreden und ihr erklären, daß er von nun an in Eintracht mit ihr leben wolle und für immer abstehe von seinem frühern Begehren an sie. Nach drei Tagen geschah wirklich Alles so und zeigte sich, daß die Erscheinung keine Einbildung war. Gott, der auch die Herzen der Menschen zu überwältigen vermag, hatte den Gemahl der seligen Kinga so umgestimmt, daß er sie selbst noch lobte wegen ihrer Standhaftigkeit und ihr erklärte, er wolle ihr nun auch nachahmen.

Kinga war höchst erfreut über diesen Ausgang, und voll innigen Dankes gegen Gott und ihren Fürsprecher, den h. Johannes, feierte sie von nun an den Tag desselben damit, daß sie Allen, die zu ihr kamen, ihr Begehren erfüllte, den Armen reichliches Almosen gab, den Verschuldeten ihre Schulden nachließ, den Angeklagten beim Herzog Verzeihung erwirkte.

Ihre Lebensbeschreibung erzählt ferner umständlich, wie sie von nun an in allen religiösen Uebungen und Werken der Liebe und Demuth einen hohen Grad der Vollkommenheit erreichte. Einst machte sie ihrem Gemahl den Vorschlag, statt Kinder etwas Anderes in der Welt zu hinterlassen, das auch in der andern Welt ihnen noch Heil brächte, nämlich ein Kloster für Jungfrauen zu stiften, welche für das Seelenheil der Stifter beten mußten. Boleslaus verstand sich gern dazu, und so wurde ein Kloster nach der Regel der h. Klara für hundert Jungfrauen errichtet und sehr reichlich ausgestattet. Kinga brachte ihren Gemahl auch noch dazu, daß er ein feierliches Gelübde der Keuschheit ablegte, sich also verbindlich machte nicht mehr zu heirathen, wenn Kinga vor ihm sterben sollte; allein Boleslaus starb zuerst. Obschon die Vornehmsten des Reiches sehr inständig baten, daß Kinga die Regierung fortführen möchte, weigerte sie sich dessen standhaft. Sie verschenkte Alles, was sie noch hatte, selbst bis auf ihren Ring, an die Armen, und trat mit ihrer gleichgesinnten Schwester Iolentha in das von ihr errichtete Kloster der Klarisserinnen. Was nun Kinga daslebst für ein Leben geführt, wie außerordentlich ihre Uebungen, wie groß ihre Geduld in schweren Leiden, wie selbst große Wunder durch ihr Gebet geschehen sind, erzählt ihr Geschichtschreiber gleichfalls in aller Umständlichkeit.

Als sie starb, gab der Leichnam einen außerordentlich lieblichen Geruch von sich, und während ihr Gesicht vorher durch übermäßiges Fasten, Wachen und andere harte Bußwerke farblos und grau dreinsah, wurde es nun sehr schön weiß mit rosenrothen Lippen. Die Zahl der Wunder, welche aber durch ihre Fürbitte gewirkt wurden, ist so groß, daß nur an Krankenheilungen einige hundert aufgezählt werden. „Selig sind, die eines reinen Herzens sind; sie werden Gott anschauen.“