marthe2010
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Den zerstörten Domen (Gertrud von le Fort, Gedicht) Da sie nun anvertraut sind dem Unsichtbaren, Fortgenommen von ihrer Gestalt, das entschmückte Antlitz Unter Trümmern begraben - O werde groß, meine …Mehr
Den zerstörten Domen (Gertrud von le Fort, Gedicht)

Da sie nun anvertraut sind dem Unsichtbaren,
Fortgenommen von ihrer Gestalt, das entschmückte Antlitz
Unter Trümmern begraben -
O werde groß, meine Seele, daß du es fassest:
Sie, die Hochherrlichen einst, die Burgen des Ewigen Gottes,
Die uns jahrhundertelang ihre Tore geöffnet,
Daß wir in ihren steinernen Wäldern wie Kinder
entschwanden,
Sie stehen vor unsrer Tür - denn alles Stürzende,
Die fallenden Türme, die niederbrechenden Chöre -
o diese geliebten -
Sie stürzen uns doch ins Herz! Die enge, die niedere Pforte
Soll die Gewaltgen empfangen!
Aber erschrick dich nicht, kleine Seele:
Du hast sie einst geboren, aus deiner Tiefe
Hob sie des Meisters Hand: du warst ihre Wiege,
Sei nun auch du ihr inniges, ihr lebendiges Grab.
Nicht draußen im toten Schutt wollen die Herrlichen
schlafen,
Nicht mehr Zerstörte, nicht mehr Entweihte wollen sie sein:
Im Unversehrbaren suchen sie ihre Stätte,
Heimkehrende zum stillen Schoß ihres Ursprungs
Und Aufertehungsbereite im bewahrenden Grab -
Nein Auferstandene schon der nie vergessenden Liebe!

Gertrud von le Fort, Den zerstörten Domen
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Dieses Gedicht ist aufgeführt in dem Zyklus „Aus schwerer Zeit“ in dem Gedichtband: Gertrud von le Fort: „Gedichte“, Insel-Bücherei Nr. 580, 1958.