Zahlreiche Treffen: Kungelt die Regierung mit Richtern?

Experte schlägt Alarm

Mehr als 40 Mal trafen sich Mitglieder der Ampel-Regierung seit ihrem Amtsantritt mit Richtern des Bundesverfassungsgerichts und den obersten Gerichten

Mehr als 40 Mal trafen sich Mitglieder der Ampel-Regierung seit ihrem Amtsantritt mit Richtern des Bundesverfassungsgerichts und den obersten Gerichten

Foto: Uli Deck/dpa

Kungelt die Bundesregierung mit Deutschlands mächtigsten Richtern?

Mehr als 40 Mal trafen sich Mitglieder der Ampel-Regierung seit ihrem Amtsantritt mit Richtern des Bundesverfassungsgerichts und den obersten Gerichten, wie dem Bundesgerichtshof oder dem Bundesfinanzhof. Dazu kommen zahlreiche Telefonate oder Mails, um sich auszutauschen. Das geht aus einer Antwort der Ampel-Regierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion hervor.

Verfassungsexperte hält Treffen für „hoch problematisch“

Verfassungsexperte Volker Boehme-Neßler (61, Uni Oldenburg) ist alarmiert, hält die zahlreichen Kontakte für „hoch problematisch“. Er wittert „eine Nähe und eine Vernetzung, die zwei wichtige Grundsätze des Rechtsstaats bedrohen: die Gewaltenteilung und die richterliche Unabhängigkeit.“

Denn der Experte mahnt: „Der Rechtsstaat funktioniert nur, wenn die Richter völlig unabhängig arbeiten können. Einflüsse der Regierung auf die Gerichte bedrohen die richterliche Unabhängigkeit. Regelmäßige Kontakte schaffen Nähe und gegenseitiges Verständnis. Das macht es für Richter schwierig, die Regierung dann unparteiisch und objektiv zu kontrollieren.“

Politik-Experte: Austausch ist „Teil einer verantwortungsvollen Staatsleitung“

Politikprofessor Hans Vorländer (69, TU Dresden) widerspricht: „Ich sehe da keine Kungelei, das würde sich auch verbieten.“ Er wertet den Austausch zwischen Gerichten und Politik sogar als „Teil einer verantwortungsvollen Staatsleitung“.

Vorländer deutlich: „Die Vorstellung, dass Richter und Politiker ‚unter einer Decke stecken‘, ist grundverkehrt.“ Mit Blick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zeige sich auch, „dass das Gericht gegenüber der Gesetzgebung sehr kritisch ist“.

Auch Verfassungsexperte Josef Franz Lindner (57, Uni Augsburg) hält solche Treffen grundsätzlich für nicht problematisch. „Es macht für die Politiker sogar Sinn, sich mit Praktikern auszutauschen, z.B. bei geplanten Änderungen des Prozessrechts“, so Lindner. „Aber: Es braucht eine inhaltliche Rechtfertigung.“

Was laut dem Experten nicht akzeptabel ist, sind „inhaltliche Treffen mit einem konkreten Bezug zu aktuellen politischen oder verfassungsgerichtlichen Entscheidungen“.

▶︎ Prominentes Negativ-Beispiel: das gemeinsame Abendessen der Bundesverfassungsrichter mit der Regierung im Vorfeld der Entscheidung zur Bundesnotbremse Ende 2021.

Zustimmend CDU-Rechtsexperte Günter Krings (53): Solange die Grenze gewahrt werde, dass es bei dem Austausch nicht um laufende Verfahren geht „und dieser Austausch nicht zur Kungelei wird, ist der Dialog zwischen Richtern und Politikern sogar von Vorteil für den Rechtsstaat: Richter können so den politischen Prozess besser verstehen und politische Entscheidungsträgern die Grenzen ihrer Gestaltungsspielräume“, so Krings.

Verfassungsexperte Boehme-Neßler mahnt aber: „Immer neue Umfragen zeigen, dass das Vertrauen der Bürger in den Staat kontinuierlich abnimmt. Solche Kontakte im Hintergrund, unter dem Radar der Öffentlichkeit erschüttern das Vertrauen in den (Rechts)Staat weiter.“

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