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Vom Anwalt zum Priester: Alles auf Anfang

Foto: Christian Lauenstein

Radikaler Jobwechsel Vom Anwalt zum Priester

Er hatte alles, wovon er immer geträumt hatte: Einfluss, Macht und Geld. Glücklich war Oliver Rothe trotzdem nicht. Also schmiss er seinen Job als Anwalt - und wurde Priester.
Von Christian Lauenstein

Bevor sich Oliver Rothe endgültig entschloss, die Königsallee gegen den Kreuzgang zu tauschen, brauchte er einen klaren Kopf. Gott rief, aber sollte das wirklich sein Weg sein? Die Karriere aufgeben? Die Mandanten, das schmucke Büro, die millionenschweren Deals? Im Tausch mit halbleeren Kirchen, Beichtgesprächen und dem Zölibat? Schwierig.

Das war im Dezember 2005. Rothe arbeitete als Rechtsanwalt in einer Großkanzlei in Düsseldorf. 480 Anwälte weltweit, bis zu 100.000 Euro Einstiegsgehalt. Er schuftete 80 Stunden in der Woche, las über seine Fälle in der Zeitung, schlief in erstklassigen Hotels. Doch immer spürte er: "Das ist nicht das, was Gott mit mir vorhat."

In der Unterstufe hatte er ins "Das ist meine Schulklasse"-Buch eines Freundes als Berufswunsch "Priester" gekritzelt. Es war nicht mehr als ein frommer Kindergedanke. Erst kam ihm die Pubertät dazwischen, Religion wählte er als Schulfach ab. Und nach dem Abitur wollte er lieber etwas Handfestes studieren: Jura.

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Juristen: Katzenjammer bei den Großkanzleien

Seinen Glauben an Gott hatte er im Studium zwar weder verloren noch verleugnet, aber mehr war da nicht. Oder doch? Ab und an spürte Rothe diese innere Unruhe, als würde Gott nach ihm rufen. Mal währte diese Phase nur eine Stunde, mal eine ganze Woche. Warum hat er diesem Drängen nicht nachgegeben?

Seine Antwort ist so kurz wie einleuchtend: "Es lief einfach zu gut." Rothe schrieb Spitzenexamina, promovierte, machte einen Master in den USA. Die Welt stand ihm offen. Er bewarb sich auf zwei Jobs und bekam zwei Zusagen: "Wer weiß, bei einem schlechten Examen hätte ich vielleicht eher die Reißleine gezogen. Aber was hätten die Menschen gedacht, wenn ich plötzlich auf Theologie umgestiegen wäre? Dass ich gescheitert bin?" Alles auf null zu setzen, dazu war Rothe nicht bereit. Noch nicht.

Rothe tauchte ab in die Welt der Großkanzleien, erst bei Freshfields, dann bei Noerr: Highend-Beratung in der Produkthaftung. Hochkomplex, international, lukrativ. Sein Ziel war klar: Partner werden. Mit noch mehr Macht, Einfluss und Geld.

Ein guter Anwalt weiß, wann er verloren hat

Irgendwann wurden diese Schübe wieder stärker. Bei Rothe klingt es, als sei er frisch verliebt gewesen, mit Schmetterlingen im Bauch: "Teilweise konnte ich an nichts anderes denken. Ich konnte mich bei der Arbeit nicht richtig konzentrieren. Diese Gefühle waren so wunderbar, so glücklich machend."

Doch Rothe, ganz Jurist, wollte sich nicht von seinem Rausch verleiten lassen. Er wartete einige Wochen, beriet sich mit einem Priester, seinem besten Freund und seinen Eltern. Am Ende war das Ergebnis eindeutig: "Give it a try!"

Rothe ging zu seinem Chef und kündigte mit den Worten: "Ich werde Priester." Der Chef war überrascht, leistete aber keine Gegenwehr. Ein guter Anwalt weiß, wann er verloren hat.

Rothe zog nach Münster ins Priesterseminar Borromaeum und begann, Theologie zu studieren. Die alten Anzüge trug er auf, die meisten Jurabücher warf er weg.

Einmal wöchentlich arbeitete er noch für seine alte Kanzlei. Er richtete sich ein Home Office ein, bearbeitete Akten, schrieb Schriftsätze und Gutachten. Eine Win-win-Situation: Die Kanzlei konnte die hohen Stundensätze einstreichen, ohne Büro und Sekretärin stellen zu müssen. Die Mandanten waren froh, dass sich kein neuer Anwalt in ihre Fälle einarbeiten musste. Und Rothe kam finanziell gut durchs Studium.

Im Borromaeum beäugte man die Mini-Kanzlei zunächst kritisch. Aber am Ende hatte sich selbst der Leiter des Priesterseminars daran gewöhnt, dass da ein "Herr Doktor" in seiner kleinen Stube einmal pro Woche in eine andere Welt abtauchte.

Nicht mal zehn Jahre später trägt Rothe statt Maßanzug ein schwarzes Kollarhemd. Die schicken Kanzleiräume in Düsseldorf sind dem Xantener Dom am Niederrhein gewichen, sein Business Englisch hat er eingemottet. Aus dem Herrn Rechtsanwalt Dr. Rothe, LL.M. ist der Kaplan Rothe geworden. Und der predigt voller Überzeugung, auch zu brisanten Fragen.

Er schüttelt nach dem Gottesdienst den Menschen die Hände, kennt die Messdiener beim Vornamen. In seiner Wohnung reihen sich theologische Wälzer aneinander, zwei Kerzen brennen neben dem Foto von Papst Franziskus. Das Primizbild an der Wand zeigt einen Ausschnitt aus Rembrandts "Heimkehr des verlorenen Sohnes". Zwischendurch klingelt eine Ordensschwester zum Plausch. Rothe verabschiedet sie mit "Gottes Segen".

Rothe weiß, dass seine Entscheidung bei vielen Menschen Kopfschütteln hervorruft. Dass frühere Kollegen ihn vielleicht für einen Spinner halten. Er kann das alles nachvollziehen. "Doch die Entscheidung, die ich getroffen habe, lässt sich rational nicht begründen, sondern nur aus dem Glauben. Gott lässt mich glücklich sein. Darum geht es."

Aufpassen, dass man "nicht verblutet"

Dass ein Priester der Star des Dorfes ist, diese Zeiten seien schon lange vorbei, sagt Rothe. Manchmal wird er mit Fragen gelöchert, die man ihm als Anwalt niemals gestellt hätte. Ende 2013 saß er in einer WDR-Talkrunde. Ebenfalls zu Gast: der mittlerweile verstorbene Schauspieler Maximilian Schell. Dieser hatte keine Scheu, Rothe vor laufender Kamera nach seinem Sexualleben auszufragen. Rothe parierte souverän, aber auch etwas verwundert. Ist man als Priester so etwas wie Freiwild? Bereit zum Abschuss für jedermann?

An die Zölibat-Frage hat er sich gewöhnt, vor allem Schüler sind neugierig. "Die Ehelosigkeit ist kein Punkt, an dem ich mich aufreibe", sagt Rothe. Er hat keinen Partner zurücklassen müssen, worüber er sehr froh ist. Aber dennoch: "Es ist eine Wunde, die manchmal blutet, man muss aufpassen, dass man nicht verblutet."

Wie stellt er sich nun die Zukunft vor? Gern wäre er Priester in einer kleinen Einheit. "Gott will, dass ich bei den Menschen bin. Und nicht in der Verwaltung." Für realistisch hält er jedoch eher das managerhafte Wirken in einer riesigen Gemeinde: verwalten, vermitteln, verkleinern. Rothe kennt die Probleme der katholischen Kirche und gibt sich keinen Illusionen hin.

Und seine Vergangenheit? Damit hat er abgeschlossen, endgültig. "Einzig, wenn ich manchmal in der 'FAZ' einen Artikel zum Thema Produkthaftung finde, dann lese ich das mit großem Interesse."