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Düsseldorf Neues Rollenmodell

Frau Kelles Kampf für die Hausfrauen und Mütter

Birgit Kelle fordert mehr Anerkennung für Mütter und Hausfrauen Birgit Kelle fordert mehr Anerkennung für Mütter und Hausfrauen
Birgit Kelle fordert mehr Anerkennung für Mütter und Hausfrauen
Quelle: picture alliance / Sven Simon/SVEN SIMON
Für viele Zeitgenossen gilt Birgit Kelle als ewig gestrig. Sie fordert 1200 Euro Betreuungsgeld, mehr Respekt für Hausfrauen und legt ihren Finger in die Wunde unzureichender Familienpolitik.

Vor ein paar Tagen hat Birgit Kelle geweint. Tochter Emma, 15 Jahre alt, wurde am Düsseldorfer Flughafen verabschiedet. Für ein Highschool-Jahr flog sie nach Minnesota, USA. „Das ist wirklich furchtbar“, sagt Kelle. „Aber sie ist gut gelandet, die Familie drüben ist freundlich, alles wird gut“, sagt sie. Typisch Mutter, oder?

Vielen Zeitgenossen gilt Birgit Kelle jedoch als „eine von gestern“. Dieses Etikett gehört sogar zu den netteren, mit denen sie in TV-Talkshows oder auf Podiumsdiskussionen bedacht wird. Auch Schmähungen von „Reaktionärin“ bis „Verräterin“ bekommt sie schon mal an den Kopf geschmissen. Und warum? Weil Birgit Kelle, Publizistin und Buchautorin, den Grundkonsens der gegenwärtigen Familienpolitik infrage stellt.

Der ist in den Familienberichten von Bund und Ländern nachzulesen und lautet etwa so: Wir sorgen dafür, dass Frauen öfter und länger arbeiten können. Dadurch stabilisieren wir den Arbeitsmarkt trotz schrumpfender Bevölkerung und verwirklichen die 50-50-Gesellschaft, in der Mann und Frau sich ungefähr zu gleichen Teilen um Familie, Haushalt und Beruf kümmern.

Birgit Kelle hält dagegen. Sie ist Vorsitzende von „Frau 2000plus“, eines eingetragenen Vereins, der laut eigener Darstellung für ein „neues Frauenbild jenseits der alten feministischen Vorstellung“ kämpft. Insbesondere sollen „Frausein und Mutterrolle“, anders als im bisherigen Feminismus, nicht als Gegensatz verstanden werden. Das neue Rollenmodell ist die Frau, die frei wählt. Die Frau, die sich auch für ein Leben als Hausfrau und Mutter entscheiden kann.

Stärkung des traditionellen Familienlebens

So hat es Birgit Kelle selbst getan. Als neunjähriges Mädchen war sie aus dem rumänischen Siebenbürgen nach Deutschland gekommen. Sie studierte später Jura, volontierte dann bei einem Verlag in Freiburg. Dort lernte sie ihren Mann kennen, den Journalisten Klaus Kelle. Sie wurde schwanger, und es war für sie klar: Ich bleibe zu Hause. Das Paar, das heute am Niederrhein lebt, hat inzwischen vier Kinder.

Birgit Kelle wirbt vehement für eine Stärkung des traditionellen Familienlebens. Aus Sicht des rot-grün-gelb-schwarzen Mainstreams in Deutschland wirkt sie somit gestrig. Und tatsächlich streitet sie für den Schutz eines alten, insofern von gestern stammenden Rollenbildes. „Es gibt Hunderttausende Frauen wie mich in diesem Land. Frauen, die gerne Frauen sind, es gerne zeigen und das auch nicht ständig diskutieren müssen. Und Mütter, die gerne Mütter sind. Sie alle haben in Deutschland keine Lobby“, sagt die 39-Jährige.

Es ist diese klare Position, die dazu beiträgt, dass Birgit Kelle regelmäßig um Interviews und Kommentare gebeten, dutzendfach zu TV-Talkshows geladen wird. Sogar im Bundestag war ihr Expertenrat willkommen. Warum? Liegt das nur daran, dass sie dem Klischee von der konservativen Mahnerin optisch widerspricht? Tatsächlich wirkt sie keineswegs gouvernantenhaft. Stattdessen lacht sie im Gespräch oft herzlich, haut sich auf die Schenkel und gestikuliert temperamentvoll.

Wer sich in ihre vor Kurzem erschienene Streitschrift „Dann mach doch die Bluse zu“ (Adeo, 17,99 Euro) vertieft, merkt jedenfalls: Die großen Hindernisse auf dem Weg zur 50-50-Gesellschaft benennt sie zutreffend. Und das muss auch derjenige einräumen, der mit Kelles traditionellem Familienideal wenig anfangen kann.

Missstände der Kita-Welt

Ein Beispiel bietet ihr Plädoyer für mehr Respekt gegenüber Hausfrauen und Müttern, die um der Kinder willen auf einen Job verzichten. Das Vokabular, mit dem sie von politischer Seite malträtiert werden, „würde im Falle jeder anderen Bevölkerungsgruppe einen Aufschrei provozieren“, stellt Kelle fest. Vom groben Begriffsunrat wie Dummchen, Heimchen am Herd, Muttchen mal abgesehen, stecke auch in vermeintlich akzeptableren Begriffen allerhand Gift.

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Etwa in dem Ausdruck „Herdprämie“, als welche das von der CSU durchgeboxte Betreuungsgeld für Daheimerziehende bezeichnet wurde. Kelle behauptet, damit würden Hausfrauen mit Kindern stigmatisiert, eine Menschengruppe werde auf ein einziges negativ besetztes Merkmal reduziert: auf den Herd. Dass Muttersein etwas mit Liebe, Erziehung und Verantwortung zu tun habe, blende dieser Kampfbegriff aus. Man könne ja durchaus das Betreuungsgeld ablehnen, meint Kelle. Aber bitte nicht mit derart diffamierendem Vokabular. Das werde über kurz oder lang auf die Benutzer desselben zurückfallen.

Als Schwachpunkt aktueller Familienpolitik identifiziert die Publizistin auch die Kleinkinderbetreuung. Deren Ausbau wird von Kelle verworfen, wenn sie behauptet, er solle einzig Mütter für den Arbeitsmarkt freisetzen. Das ist natürlich arg pauschal. Aufmerksamkeit verdient aber Kelles scharfer Blick für die Missstände in der real existierenden Kita-Welt. Dort werden häufig die von Experten empfohlenen Standards für die Betreuer-Kind-Relation unterschritten.

So hat die Gewerkschaft Ver.di jüngst durchgerechnet, was Birgit Kelle zuvor angemahnt hatte: Wenn man Urlaub, Krankheit, Fortbildung und Verwaltungsarbeit mitzähle, habe jeder Erzieher rund anderthalb Monate im Jahr weniger Zeit für die Kinder, als die Politik in offiziellen Berechnungen vorgaukelt. Vielerorts muss sich ein Betreuer um 13 bis 14 Kinder unter und über drei Jahren kümmern oder um acht Ein- und Zweijährige. Und Abhilfe ist leider kaum in Sicht. Solange die Politik damit beschäftigt ist, die Zahl der Kitaplätze zu erhöhen (weil die Nachfrage steigt), kommt sie nicht dazu, die Qualität ausreichend zu steigern.

Drängt Politik Mütter auf den Arbeitsmarkt?

Zudem legen maßgebliche Untersuchungen wie die US-Langzeitstudie vom National Institute of Child Health and Development oder die Wiener Krippen-Studie nahe, dass Kinder unter zwei Jahren bei Ganztagsbetreuung in einer Kita deutlich gestresster aufwüchsen. Die deutsche Politik beeindruckte das nicht. Sie setzte 2013 ohne Einschränkung den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr, nicht ab zwei Jahren durch. War das kinderfreundlich? Und ist Kelle wirklich eine Panikmacherin, weil sie solche Fragen früh stellte?

Hochumstritten ist schließlich Kelles Attacke auf den Versuch, Mütter früher, öfter und länger fürs Berufsleben zu gewinnen. Sie stellt diesem schwarz-rot-grün-gelben Ziel zunächst einmal Umfrageergebnisse entgegen. Laut mehreren Studien wollen zumindest stattliche Minderheiten unter den Müttern und Hausfrauen nicht ins Berufsleben einsteigen und nicht ihre geringfügige Teilzeitbeschäftigung ausbauen. Dass sie während der ersten drei Lebensjahre ihres Kindes in den Beruf einsteigen, lehnt laut mehreren Umfragen sogar die Mehrheit der Mütter ab.

Kelles Conclusio: Die Familienpolitik versuche mit 14-monatigem Elterngeld, Kitaausbau und Ab-in-den-Job-Rhetorik Frauen gegen deren Willen auf den Arbeitsmarkt zu drängen. Dabei seien Mütter schon jetzt durch das Unterhaltsrecht genötigt, schnell wieder zu arbeiten, weil ihnen sonst im Scheidungsfall Altersarmut drohe. Folglich raube die deutsche Politik den Frauen die Wahlfreiheit.

Mit solchen Angriffen bringt man so manche Frauen- und Familienpolitikerin in Wallung. Schließlich kann man auch umgekehrt argumentieren. Frei wählen, ob sie in den Beruf einsteigen wollen, können Frauen erst, wenn zumindest zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Zum einen müssten alle Eltern die Chance besitzen, ihr Kind in eine flexibel geöffnete Kita zu geben – und zwar in eine mit guter Qualität, die das elterliche Gewissen beruhigt. Zum anderen müssten sich alle Arbeitgeber redlich bemühen, Mitarbeitern mit Kind eine reduzierte Arbeitszeit zu gewähren und trotzdem halbwegs ansprechende Aufgaben zu belassen.

Arbeit vs. Kinder

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Beide Voraussetzungen sind aber nicht erfüllt. Noch immer muss man, wie auch Birgit Kelle konstatiert, oft wählen, ob man zugunsten der Arbeit seine Kinder nur am Wochenende sieht oder zugunsten der Kinder im Büro nur die Drecksarbeit erledigt. Solange sich hieran nichts ändert, ist es aber kein Wunder, wenn einige Mütter noch immer kein Interesse zeigen, Familie und Beruf zu vereinbaren. So kontern Frauenrechtlerinnen wie die Berliner Soziologin Jutta Allmendinger.

Doch was Kelle-Kritikerinnen wie Frau Allmendinger gelingt, geht Familienpolitikern parteiübergreifend kaum über die Lippen: das Eingeständnis, wie weit der Weg noch ist, bis Familie und Beruf für die Masse der Eltern gut vereinbar werden. Darüber, so beobachtet Kelle, schwiegen Familienpolitiker noch allzu oft – weil es sie teuer käme und weil sie Konflikte eingehen müssten.

Caritas-Experten schätzten jüngst, für eine qualitativ hochwertige Kleinkinderbetreuung müssten die bisherigen Ausgaben wohl verdoppelt werden – also von grob zwölf auf 24 Milliarden Euro. Vorige Woche kam auch die Bertelsmann-Stiftung zu dem Ergebnis, allein in NRW müssten zusätzlich Erzieher für knapp 800 Millionen Euro eingestellt werden, um ein gutes Betreuungsniveau zu erreichen.

Zudem müssten private Arbeitgeber wohl deutlich stärker gedrängt werden, ihre Personalpolitik auch da familienfreundlich zu gestalten, wo es Opfer verlangt. Aber dass eine Regierung es wagt, den Druck auf Arbeitgeber zu erhöhen, beispielsweise durch öffentliches Anprangern familienfeindlicher Unternehmen, ist bislang durch nichts bewiesen. Stößt Politik hier wirklich an Grenzen des Machbaren?

Wenn die von Kelle benannten Hindernisse auf dem Weg zur 50-50-Gesellschaft aber nicht überwunden werden, könnte die Skepsis gegenüber den großen Linien der Familienpolitik immer weitere Kreise ziehen. Umgekehrt könnte Kelles Vorstellung von einer traditionelleren Familienpolitik dann an Zustimmung gewinnen, etwa ihr Vorschlag eines 1200-Euro-Betreuungsgelds oder einer unterhaltsrechtlichen Stärkung nicht berufstätiger Mütter. Und dann wäre womöglich nicht mehr Frau Kelle von gestern, sondern der Traum der 50-50-Gesellschaft.

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