Anwalt des Teufels

14. Juni 2012


Am Tag nach dem Holland-Spiel soll der Blick kurz in unser westliches Nachbarland gehen. Dort, so fand ich bei Recherchen heraus (ich suchte Informationen über den holländischen Fußballtrainer Dick Advokaat), gibt (oder gab) es eine „Reality-TV-Show“ mit dem Titel Advokaat van de Duivel („Anwalt des Teufels“), in der 2009 eine „Bürger-Jury“ Papst Benedikt XVI. für „schuldig“ befand – diesmal am Tod von „Millionen AIDS-Kranken“; die Süddeutsche Zeitung berichtete.

Der Verteidiger Benedikts (also: der „Anwalt des Teufels“ [sic!]) konnte die „Bürger-Jury“ nicht von der Unschuld des Papstes überzeugen, obwohl er darauf verwies, „dass die katholische Kirche Aidskranken helfe und sich gegen deren Stigmatisierung ausspreche“ und „auch einige Wissenschaftler [warnten], dass ständige Aufforderungen zum Kondomgebrauch Menschen indirekt zu riskanten Sexpraktiken ermunterten“.

Richtig, aber das wichtigste Argument fehlt freilich: Wie es eigentlich zu dem Kondom-„Verbot“ kommt. Steht es im luftleeren Raum? Sagt der Papst: „Macht, was ihr wollt, nur Kondome sind verboten?“ Nein – das wäre in der Tat fahrlässig. Der entscheidende Punkt ist doch der: Der Papst vertritt die katholische Sexualmoral. Wer nach der katholischen Sexualmoral lebt, kann mit höchster Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht an AIDS erkranken bzw. andere Menschen mit dem HI-Virus anstecken, weil in der katholischen Sexualmoral die Treue zum Ehepartner und die Enthaltsamkeit außerhalb der Ehe ganz wesentliche Aspekt ist. Es mag schwierig sein, nach der katholischen Sexualmoral zu leben, doch wer das tut, braucht keine Kondome, um sich zu „schützen“ – vor was auch? Von einem Kondom-„Verbot“ kann insoweit gar nicht die Rede sein.

Die Haltung des Papstes zur Sexualität auf ein Kondom-„Verbot“ zu reduzieren, ist in etwa so als werfe man Gandhi vor, seine Haltung zur Gewalt liefe auf ein „Verbot“ von kugelsicheren Westen hinaus. Doch schützen diese besser von den Folgen von Gewalt als Frieden? – „Aber: die Realität!“ – Richtig, es gibt in der Tat Verhaltensweisen, die nicht den Grundsätzen der katholischen Sexualmoral bzw. dem Prinzip des Pazifismus entspricht. Doch kann man dafür den normativen Anspruch verantwortlich machen? Das wäre absurd! – „Aber: der Mensch!“ – Richtig, es scheint so, als könne er nicht anders, als sei Trieb und Aggression ein nicht zu bändigendes Programm, das ohne Modifikationsmöglichkeit abgespult wird.* Es scheint so. Man wird aber wohl noch anderer Meinung sein dürfen, zumal, wenn man die Bändigung vorlebt. Gandhi lebte sie vor und der Papst auch.** Insoweit dürfen beide anderer Meinung sein.

Der Papst ist anderer Meinung. Sein Ansatz ist ein ganzheitlicher, kein technizistisch verengter, denn es geht seiner Ansicht nach um den ganzen Menschen, um eine würdevolle Sexualität, die der Papst offenkundig als „humanisierbar“ betrachtet, d.h. er traut dem Menschen zu, seine Sexualität jenseits der Triebstruktur in eine verantwortliche Lebensform zu überführen. Es geht ihm also nicht bloß um die gefahrenreduzierte Verrichtung des Geschlechtsakts. – Ein Skandal!

Doch es wäre traurig, stünde der Papst mit dieser Haltung ganz allein, wäre er der einzige Mensch auf Erden, der sagt, dass nicht Kondome die erste Wahl bei der AIDS-Bekämpfung sind, sondern, insbesondere wenn es um die Verhinderung von Neuinfektionen geht, Keuschheit und Treue. Ist er – Gott sei Dank! – aber nicht. Basis für einen „Schuldspruch“ ist die Haltung indes nur beim Papst. An der „Bürger-Jury“ (und wohl auch am „Anwalt des Teufels“) scheint völlig vorbeigegangen zu sein, dass dies seit Jahrzehnten auch die Position der wichtigsten katholischen Hilfswerke sowie zahlreicher säkularer Einrichtungen in der AIDS-Bekämpfung ist. Das bischöfliche Hilfswerk Misereor etwa teilt den Standpunkt des Papstes: „Viele Menschen in Europa verbinden mit dem Schutz vor AIDS vorschnell Kondomkampagnen. Wer aber meint, unter den Lebensbedingungen der Armutsregionen wären sie das Mittel in der AIDS-Bekämpfung, greift viel zu kurz. Die Erfahrungen unserer Partner in Afrika, Asien und Lateinamerika und die Erfolge der gemeinsamen Projekte zeigen uns, dass ein wirksamer Schutz vor AIDS anders, das heißt ganzheitlich, ansetzen muss“. Das UN-Hilfswerk UNESCO und die Weltgesundheitsorganisation WHO propagieren den so genannten ABC-Ansatz, bei dem A (=abstinence; Enthaltsamkeit) und B (=behavior; Verhalten, also Treue) für vorrangig gegenüber C (=condoms; Kondome) erachtet werden. Die größten Erfolge erreicht man mit A, dann mit B und erst dann – als ultima ratio – mit C. Also: Ban Ki-Moon auf die Anklagenbank?

Noch einmal: Das Kondom ist nicht die Lösung. Wenn sich die AIDS-Pandemie tatsächlich mit Kondomen eindämmen ließe, müsste sie längst eingedämmt sein! Ist sie aber leider nicht. Weil sie eine Folge von menschlichen Verhaltensweisen ist, nicht eine Folge des Mangels oder gar des „Verbots“ von Kondomen durch den Papst. Wer also das Verhalten ausblendet und weiter auf das Kondom als Lösung setzt, verschlimmert insoweit das Problem, da hat Benedikt ganz Recht. Das Kondom als zentraler Lösungsansatz geht am Kern der Sache vorbei, mal ganz abgesehen von falschen Sicherheiten (Kondome machen den Sex ja nicht „safe“, sondern nur „safer“). Das Kondom unter diesen Umständen als einzig wirksames Mittel gegen AIDS zu preisen, ihm eine Rolle zuzubilligen, die es gar nicht spielen kann, das ist höchst problematisch, nicht jedoch die Haltung des Papstes. Denn seine Alternative heißt ja nicht Sex ohne Kondom, was das Infektionsrisiko in einigen Fällen gegen 100 Prozent gehen ließe, sondern Enthaltsamkeit außerhalb und Treue innerhalb der Ehe. Das senkt das Risiko auf praktisch 0 Prozent. Die „Bürger-Jury“ hat diese schlichte Tatsache nicht verstanden.

Da passt es freilich gut ins Bild, dass im gleichen „TV-Gericht“ eine Woche zuvor Osama Bin Laden von einer „Bürger-Jury“ freigesprochen wurde. Der „Anwalt des Teufels“ hatte ganze Arbeit geleistet.

(Josef Bordat)

* Und, nein: Ich vergleiche hier nicht Sex mit Gewalt, sondern das Verhältnis von Trieb zu Sex mit dem Verhältnis von Aggression zu Gewalt, unter dem Aspekt der Notwendigkeit des Auslebens von Naturanlagen.

** Wobei der Papst nicht der einzige Katholik ist, der sich an die katholische Sexualmoral hält. Ich sage das, weil man des öfteren genau diesen Eindruck vermittelt bekommt.

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